Wawrzyk — der Zweite.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Coblenzer Zeitung” vom 23.01.1901,
in: „Stralsundische Zeitung”, Sonntags-Beilage, vom 27.01.1901
in: „Ilustrirani Glasnik” vom 29.04.1915


„Wie heißen Sie?”

„Wawrzyk.”

„Wie?”

„Wawrzyk.”

„Das kann ich nicht aussprechen. Also, wenn ich niese, dann sind Sie gemeint. Verstanden?”

„Zu Befell, Herr Leitnant.”

„Nun gehen Sie mal in die Küche und lassen Sie sich von der Aufwärterin, die wohl gerade da sein wird, die silberne Kaffeemaschine geben. Da ist an der Seite ein Loch und die Schnauze ist verbogen. Lassen Sie das sauber zurechtmachen. Verstanden?”

„Zu Befell, Herr Leitnant.”

Baron von Schmettner winkte seinen neuen „Kerl” ab, ließ sein Monocle fallen und sah mit einer kummervollen Frage auf seinen Freund und Kameraden von Holsten, welcher dieser ersten Begegnung zwischenn Herr und Diener mit einem etwas gekniffenen Lächeln beigewohnt hatte.

„Na, was sagst Du?” fragte der Baron erwartungsvoll.

„Was soll man da sagen —”

„Du hast gegrient — und Du mußt mir sagen weshalb. Gefällt Dir der Kerl nicht?”

Herr von Holsten beklopfte seine Langschäftigen mit der Reitgerte und zuckte leicht die Achseln.

„Gefallen — Du lieber Gott! Ein Adonis ist ja Dein Wawrschtyrtschick —”

„Prosit.”

„Danke. Ein Adonis ist er nicht. Sergeant Böhle würde sagen, er hätte den richtigen „slavischen Typhus”. Und wenn der Kerl nicht von Natur so melirt aussieht, dann wirst Du ihn vorläufig erst mal unter Wasser setzen müssen. Aber das ist ja das Schlimmste nicht.”

„So, na was denn sonst!” rief der Baron nervös. „Wird er auch klauen, wie mein Erster!?”

„Nee, mein Junge!” rief der Andere lebhaft. „Der nicht! Der ist treu wie Gold — dem kannst Du ein Halsband umlegen. Aber — — sieh mal, was Fritz Reuter von den Menschen sagt, das gilt in verstärktem Maße von den Burschen: es giebt so 'ne und so 'ne! Na und dieser, das ist so Einer.”

„Was denn für Einer!”

„Wirst ja sehen. Dies ist dein Zweiter — aber wenn Du den gehabt hast, dann hast Du sie Alle gehabt!”

„Lieber Heiny,” erwiderte Baron von Schmettner ziemlich energisch, „Du bist zwar viel länger Offizier als ich, Du bist sogar „Ober”, und Deine Erfahrungen in Ehren! Aber wenn Du mir weiß machen willst, daß es in der deutschen Armee Burschen giebt, wie sie in den Witzblättern 'rumspucken, dann hast Du kein Glück. Man hat immer den Diener, den man verdient. So ein Mensch muß erzogen werden!”

„Na schön. Ich kann zwar nicht annehmen, daß Du Deinen Verflossenen zum Mausen angehalten hast — aber Du sollst Recht behalten. Vorläufig! Heute Abend schaue ich mal wieder vor.”

Oberleutnant von Holsten griff lachend nach seiner Mütze und schüttelte dem Freunde die Hand.

„Hast Du Nachmittag etwas vor?” fragte er, bereits in der Thür.

„Um Himmelswillen — ja!” rief Schmettner, indem er den Kameradern wieder hineinzog. „Das hätte ich über Deinen Unkenrufen wegen des Kerls beinahe vergessen. Denke Dir, Heinz, meine Braut hat sich Nachmittag zum Kaffee angesagt; natürlich mit ihrer Frau Mutter.”

„Alle Wetter! Ihre Exzellenz, die Frau kommandirende General!”

„Ja, sie können sich nämlich nicht vorstellen, wie das ist, wenn ein junger Leutnant seine eigene Wirthschaft führt!” rief der glückliche Bräutigam und lachte über das ganze frische Gesicht.

„Dann nimm Dich aber zusammen, Fritz. Exzellenz-Mama besichtigen noch wesentlich schärfer als der alte Herr! Deshalb hast Du wohl auch Deinen eingebolzten Silberpott zum Repariren gegeben?”

„Allerdings. Es ist ein Geschenk meiner Braut, und es wäre doch sehr unangenehm, wenn ich damit nicht aufwarten könnte.”

„Na, dann schneide gut ab, mein Junge, und grüße Deinen Wa — — —, nee — danke — es ist vorübergegangen!”

*           *           *

Als Leutnant von Schmettner Mittags vom Dienst kam, machte ihm seine Aufwärterin die unangenehme Eröffnung, daß sie Nachmittags leider nicht abkommen könne. Bei ihrer Schwiegertochter sei der Storch angekommen — und das ginge doch schließlich vor eine Kaffeegesellschaft.

„Nun ja, Frau Kunze,” replizirte der Baron vorsichtig, da sein Küchentyrann absolut nicht mit sich spaßen ließ, „es mag ja sein, aber — es ist doch unangenehm, daß in Ihrer Familie immer Kinder ankommen, wenn ich etwas vorhabe.”

„So — denn sollen wir wohl immer erst fragen kommen, nich? Nee, Herr Leitnant, da laß ick mir keine Vorschriften 'in machen. Is überhaupt nich scheen von Ihnen, so wat zu sagen, wo ick Ihnen bewasche, beplätte und bethue, un Allens wie vor meen Egen! Wenn der Pollacke nich mal 'n Topp Kaffe kochen kann — wozu is er denn überhaupt bei's Militär! Ick hab' ihm Allens zurechtjelegt — drei Loth mit 'ne Mütze; jemahlen is er. Zucker steht da, un de Sahne un de Spritzkuchen sind im Eßschrank. Un nu jeh ick. Mahlzeit Herr Leitnant.”

Baron von Schmettner kraute sich mit dem spitz geschnittenen Nagel seines Zeigefingers hinterm Ohr. Er hatte das dumpfe Gefühl der Aufgeschmissenheit. Eine Kaffeegesellschaft mit Damen hatte er noch nicht gegeben, und der Wawrrr — hol ihn der Teufel! — wahrscheinlich auch noch nicht.

Wo war denn der Mensch überhaupt! Der Leutnant drückte auf den Knopf einer elektrischen Klingel, welche zum Burschengelaß führte. Er hörte es bis unten, wie die Glocke schnurrte und rasselte, aber sonst rührte sich nichts. Noch einmal — mit demselben Effekt.

Der Leutnant stürmte auf den Flur hinaus, und wie ein gewaltiges Niesen tönte es die Bodentreppe hinauf:

„Wawrrschtschyrik!!”

„Zu Befell, Herr Leitnant, komm ich gleich runter,” brülte der Biedere zurück, „is sich Wawrzyk gleich fertig!”

Etwas wie Humor wandelte den Offizier an ob eines Burschen, der seinen Leutnant warten ließ. Aber die Erziehung! Er durfte das nicht aufkommen lassen. Mit ein paar Sätzen eilte er die Bodentreppe empor und stieß die Thür auf.

„Kerl, wenn Sie nicht fliegen, sobald ich rufe, dann hole ich Sie bei den Ohren heran ! Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen rede!! Was machen Sie denn da — — — Barmherziger Himmel! Mensch! Heupferd!!”

„Mach ich Toppchen zurecht, Herr Leitnant, weil ich bin Rastelbinder, gelerntes. Geht sich serr leicht.”

Damit wies er strahlend auf das Silbergeschirr, das unter seinen kunstfertigen Händen kaum noch wiederzuerkennen war.

An der defekten Stelle war ein strammer viereckiger Blechflicken aufgelöthet und anstatt der etwas verbogenen Tülle starrte ein Abguß empor, der dem einer kleinen Gießkanne nicht unähnlich sah. Das Ganze war, der besseren Haltbarkeit wegen, mit Draht bebunden.

Baron von Schmettner war zu gebrochen ob dieser betriebsamen Ruchlosigkeit, als daß er sich a tempo hätte äußern können. Er entriß dem Burschen das verschimpfirte Prachtstück und machte eine Bewegung, als wenn er die Haltbarkeit an dessen Dickschädel erproben wollte.

Wawrzyk hob schützend den Arm vor sein Haupt und folgte dann dem empörten Leutnant die Treppe hinab mit einem Gesicht, als wenn er statt eines verdienten Sliwowitz einen Schluck Petroleum bekommen hätte.

„Jetzt wird im Herd Feuer gemacht, Sie podolisches Ungethüm! Aber dalli! Die Kaffeemaschine rühren Sie mir nicht an! Und wenn das Wasser kocht, dann rufen Sie mich! Sie — Sie —!!”

„Zu Befell, Herr Leitnant,” erwiderte Wawrzyk mit dem leidenden Ausdruck eines verkannten Menschen.

„Wenn zwei Damen kommen, dann führen Sie sie unangemeldet herein. Sollten aber Kameraden vorsprechen — wissen Sie überhaupt, was ein Kamerad ist?” unterbrach sich Schmettner mißtrauisch.

„Abe Herr Leitnant,” entgegnete Wawrzyk fast verletzt, „is sich Freind Ihriges.”

„I Gitt, ist das ein Kerl! Na, meinetwegen. Also wenn „Freind meiniges” kommt oder sonst ein Offizier — verstanden? — den lassen Sie nicht vor!”

„Zu Befell, Herr Leitnant.”

Schmettner eilte in die Stube, um den Kaffeetisch zu decken. Die Damen konnten bald kommen. Obwohl völlig Laie in dergleichen Dingen, brachte es der Baron mit einigem natürlichen Geschmack und unter reichlicher Verwendung von Blumen, die er bestellt hatte, dahin, daß sich die kleine Tafel sehr hübsch und freundlich präsentirte. Er war zufrieden. Aber seine Stimmung schlug in eine gelinde Raserei um, als er die Küche betrat.

Ein dichter Qualm schlug ihm entgegen — und Wawrzyk, welcher, anstatt vorn an der Feuerung, von oben auf einem der hinteren Herdlöcher Feuer zu machen versuchte, entfachte immer neue Bogen Zeitungspapier zu stinkender Lohe. Dabei sah er aus, als wenn er dreimal durch den ganzen Schlot gefahren wäre.

Fluchend riß ihn der Leutnant zurück und sperrte die Fenster auf. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Baron von Schmettner krempelte die empfindlichen rothen Aufschläge seines Waffenrocks auf und schickte sich eben selbst an, Feuer zu machen, als die Entreeklingel ertönte. —

„Allmächtiger! Das sind sie schon!”

Mit einem Satz, welcher direkt etwas Parterregymnastisches hatte, sprang der Leutnant aus seiner hockenden Stellung am Herde auf und eilte ins Zimmer. Hier brachte er seine Uniform in Ordnung und lauschte.

Wawrzyk öffnete. Es kam jedoch Niemand. Statt dessen erhob sich ein schnell anwachsender Disput. Mit einem Male wurde die Thür aufgerissen und Ihre Exzellenz stürmte, gefolgt von ihrem Töchterchen, welches Thränen lachte, herein.

„Lieber Schmettner,” keuchte die Kommandeuse und präsumptive Schwiegermama, „das ist aber ein bischen stark! Mein Mann begleitet uns — und Ihr Bursche will ihn nicht hineinlassen!”

„Er sagt, es dürfen heit man blos Frauensleit rein,” rief die Braut, eine muntere Brünette, und warf sich, haltlos vor Lachen, in einen Sessel. „Papa wäre ein „Kumrad” und der dürfe nicht!”

Der Leutant stürzte entsetzt hinaus und kam gerade recht, um einen Ringkampf zwischen Wawrzyk und Seiner Exzellenz dem Herrn kommandirenden General von Plotho zu Gunsten des Letzteren zu entscheiden.

*           *           *

Der drastische Zwischenfall hatte Stimmung in die Sache gebracht. Die Damen hatten, nachdem ihnen der Baron sein Malheur anvertraut, höchstselbst Kaffee gekocht — und es war reizend gemüthlich gewesen.

Als die Herrschaften sich verabschiedeten, war Wawrzyk, den man sich noch einmal ansehen wollte, nirgend zu finden. Erst etwa eine Stunde später — Leutnant von Holsten hatte seinen Freund wieder aufgesucht und ging bei der Erzählung des Vorgefallenen die Wände hoch — stellte der biedere Grenadier sich ein — — aufgepackt, mit seinem Bündel in der Hand — vollständig reisefertig.

„Wo sind Sie gewesen! Und was wollen Sie in diesem Aufzuge!”

„Hob ich gepackt, Herr Leitnant. Is sich besser, wir trennen uns — is sich doch kein Vertrag zwischen uns zwei Beide!”

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